Blickpunkt Nazareth
„Weihnachten, die Zeit des Friedens
Zeit zu vergeben und zu verzeih’n
Ich liebe Dich und Du liebst mich, jeder liebt jeden
Lasst uns zusammen fröhlich sein“~ Die Roten Rosen, 1998
Der kitschige Weihnachtseinstieg wär somit erledigt, ab geht die wilde Fahrt: Man muss nicht gläubig sein, man muss auch nicht unbedingt Weihnachten feiern, um zu wissen, dass die Stadt Nazareth in Israel im christlichen Glauben allgemein und besonders an den Weihnachtsfeiertagen eine nicht unbedeutende Rolle einnimmt. „Fast wie Sturm, nur woanders“, die Groundhopper- und Globetrotterrubrik für Arme, begibt sich nun also auf die Spuren einer Religion, und wirft einen Blick darauf, ob die starke Glaubensverbindung nach Nazareth den dortigen Fußball denn ebenso so berühmt gemacht hat wie den bedeutendsten Sohn der Stadt, Herrn Jesus C.
Spoiler: Nein.
Eigentlich wurde Jesus C. ja in Betlehem geboren, dort gibt es jedoch keinen auffindbaren Fußballverein – der Autor spricht leider kein Hebräisch – und dies ist für diese Kolumne nicht unbedingt vorteilhaft. Also folgen wir Jesus C. und seinen Eltern zurück nach Nazareth, springen rund 2000 Jahre in die Zukunft, und erkunden das Fußballgeschehen der Stadt. Dort angekommen herrscht zunächst mal Verwirrung, weil es heute zwei größere Vereine gibt. Wie überall in Israel gibt es auch in Nazareth eine Rivalität zwischen den Sportverbänden Hapoel und Maccabi. Hapoel ist der größte israelische Sportverband und gilt eher der israelischen Arbeiter_innenbewegung zugehörig; Maccabi Israel ist Mitglied der Maccabi-Weltorganisation, die alle vier Jahre die Maccabi World Games für jüdische Sportler_innen ausrichtet.
Wenn man außer der Jesusgeschichte nichts über die Stadt Nazareth wüsste, man würde also von einem richtigen Stadtderby zwischen Maccabi und Hapoel ausgehen. Doch sturmnetz.at, das Qualitätsmedium für glutenfreien Investigativjournalismus, hat recherchiert und herausgefunden, dass eben dies nicht der Fall ist. Warum? Aus Gründen. Um auf diese genauer einzugehen, müsste man sich in den Nahostkonflikt stürzen, doch an Weihnachten will sich der Autor weder seine Stimmung noch die der Leser ruinieren, daher hier nur eine Kurzfassung: Es sind zwei Städte. Nazareth ist seit der israelischen Staatsgründung jene Stadt mit dem höchsten Anteil israelischer Araber und Palästinenser außerhalb des Westjordanlands. Mit der Staatsgründung und der hohen Zahl an jüdischen Einwanderern wurden im ganzen Land neue „Entwicklungsstädte“ gegründet, eine davon nennt sich Nazareth Illit, zu Deutsch „Ober Nazareth“ und grenzt direkt an die Schwesterstadt Nazareth an. Nazareth Illit ist heute größtenteils von Juden besiedelt, das „alte“ Nazareth ist die Heimat zahlreicher Muslime, Christen und vom
Maccabi Ahi Nazareth FC
Soviel sei hier bereits gesagt: Dem Welterfolg des erwähnten Jesus C. konnte Maccabi Ahi Nazareth bisher nicht nacheifern. Gegründet wurde der Verein im „alten“ Nazareth erst 1967, 1975 erfolgte der Aufstieg in die dritte Liga, 1998 wurde der Verein zweitklassig, und in der Saison 2002/03 konnten die „grünen Nazarether“ die Liga Leumit sogar gewinnen und damit in die oberste Spielklasse, die Israeli Premier League, aufsteigen. 2003/04 war insofern eine historische Saison für den israelischen Fußball, als dass in diesem Jahr mit dem Bnei Sakhnin FC und eben Nazareth erstmals zwei arabische Vereine ertklassig waren. Bnei Sakhnin konnte im folgenden Jahr sogar den israelischen Cup gewinnen, für Maccabi verlief dieses erstklassige Intermezzo eher zweitklassig, man musste direkt absteigen und wurde gar wieder bis in die dritte Liga durchgereicht – wo man sofort wieder den Aufstieg erringen konnte. Maccabi Nazareth spielte zwischen 2002/03 und 2006/07 also keine zwei Saisonen hintereinander in der selben Liga, was als Zeugnis konstanter Unkonstantheit auch ziemlich beeindruckend ist. Drei Jahre in der Liga Leumit waren dann auch wieder genug, 2008/09 konnte man – als eigentlich sechstplatzierter, Ligaaufstockung sei Dank – erneut in die Premier League aufsteigen. Die Vorzeichen für diese Saison waren eher bescheiden – man spielte mit minimalem Budget im zweitkleinsten Stadion – und die Leistungen passten sich dem an, auch die Anstellung des ehemaligen englischen Teamspielers John Gregory als Trainer konnte keine Wunder wirken, nach einer 0:7 Heimniederlage gegen den Abstiegskonkurrenten Hapoel Ramat Gan stieg Maccabi Ahi Nazareth direkt wieder in die Liga Leumit ab, wo man sich mit ungeahnter Kontinuität seither aufhält.
Überhaupt ist das mit dem Stadion bei Maccabi so eine Sache. Sturmfans haben bisher wohl noch keinen Bezug und keine Parallele zum Verein gefunden (Spoiler: Es kommt auch keine mehr), aber immerhin LASK-Anhänger könnten mit diesem Club sympathisieren. Ebenso wie der LASK Linz im Namen hat, aber in Pasching spielt, heißt Maccabi Ahi Nazareth eben Maccabi Ahi Nazareth, die Heimspiele werden aber im Ilut Stadium in Ilut im Nordwesten von Nazareth ausgetragen. Das Stadion hat knapp über 4900 Plätze, aber selbst zu Premier League – Zeiten kamen im Schnitt nur 1390 Zuschauer zu den Heimspielen. Fotos vom Stadion gibts hier.
Wir wenden uns von Nazareth ab, wandern gen Osten und überschreiten die kaum merkbare Stadtgrenze nach Nazareth Illit, und betrachten im Folgenden den
Hapoel Nazareth Illit FC
Gegründet wurde der Club bereits 1962, also fünf Jahre vor Maccabi, als Hapoel Kiryat Nazareth. 1973 nahm man den heutigen Namen an und bereits nach der Saison 1979 konnte Hapoel erstmals den Aufstieg in die zweite Liga bejubeln, schlappe 19 Jahre vor dem Rivalen aus Nazareth. Dies, obwohl Nazareth Illit mit „nur“ rund 40.000 Einwohnern eigentlich doch um einiges kleiner als Nazareth ist. Lang blieb dieser „Ruhm“ ohnehin nicht, bereits sieben Jahre später fand man sich in der tristen Viertklassigkeit wieder, also eine Stufe unter Maccabi. Dies sollte bis 1999 so bleiben, dann ging es wieder recht rasch nach oben und 2003/04, also nur ein Jahr nach Maccabi konnte auch Hapoel den Aufstieg aus der Liga Leumit feiern. Im Gegensatz zu Maccabi konnte sich Hapoel sogar ein Jahr in der Premier League halten, und dies obwohl die ersten Heimspiele ebenfalls in der Fremde, im vorher angesprochenen Ilut Stadium ausgetragen werden mussten, da im heimischen Green Stadium eine Flutlichtanlage aufgestellt wurde. In der Saison 2005/06 stieg man dann wieder ab, krebste ein Jahr in der Liga Leumit herum und stieg im zweiten Jahr wieder in die dritte Liga ab. In dieser Drittligasaison konnte Hapoel zwar nur den siebten Platz erreichen, man stieg aber trotzdem postwendend wieder auf, Ligaaufstockung sei Dank. Seit der Saison 2009/10 spielt Hapoel Nazareth Illit nun gemeinsam mit Maccabi Ahi Nazareth in der zweiten Liga, nach einem turbulenten Jahrzehnt für beide Vereine sieht es derzeit so aus, als ob sich beide Teams stabilisiert hätten. Die Trophäenschränke werden in absehbarer Zukunft wohl bei beiden Vereinen keinen Zuwachs bekommen, macht aber auch nichts, so muss zumindest kein Geld für Trophäenschränke ausgegeben werden, bisher sieht es da nämlich äußerst leer aus.
Manch ein Leser fragt sich nun möglicherweise noch, warum das Stadion in Nazareth Illit denn nun „Green Stadium“ heißt, wo das Wappen doch rot ist? Dies ist der Fall, weil das Stadion von einem Ehepaar Green gestiftet und nach ihnen benannt wurde.
Gibt es nun Spieler oder Trainer in der Vergangenheit oder Gegenwart der beiden Vereine, die man kennen könnte? Kurz gesagt: Nein. Länger gesagt: Ausgezeichnete Frage, aber Nein.
Resümee
Nazareth und Nazareth Illit sind zwei direkt aneinander grenzende Städte mit sehr unterschiedlicher Bevölkerung. Nicht wie Sturm. Beide Teams konnten in ihrer Geschichte noch keine Titel erringen. Zum Glück nicht wie Sturm. Allerdings ist auch über finanzielle Turbulenzen von Maccabi bzw. Hapoel nichts bekannt. Bekanntermaßen auch nicht wie Sturm. Die Vereinsfarben sind grün bzw. rot. Nicht wie Sturm, GSC und GAK, winkts amal!
Kurz gesagt haben Maccabi Ahi Nazareth und Hapoel Nazareth Illit mit dem SK Sturm quasi überhaupt keine Gemeinsamkeiten, sieht man vom Herbst 2004 ab, als sich beide Teams das Stadion teilten. Aber hey, Weihnachtsbezug!
Wie geht das Lied vom Anfang eigentlich weiter?
„Nichts ist heut unmöglich
Auch ein Wunder kann gescheh’n
Jeder Traum geht in Erfüllung
Wenn Du es wirklich willst“
Naja, der Traum von einem Meistertitel für einen Verein aus Nazareth bzw. Nazareth Illit wird zumindest dieses Weihnachten sicher nicht in Erfüllung gehen, auch wenn es irgendjemand wirklich will. Nach 15 von 30 Runden in einer äußerst ausgeglichenen Saison der Liga Leumit liegt Hapoel mit 14 Punkten am 14. und damit drittletzten Rang, Maccabi hält bei 21 Punkten und steht damit auf Rang 6.
In absehbarer Zeit wird es also dabei bleiben, dass Jesus C. der einzige Exportschlager aus Nazareth ist.
Riesen-Kompliment an den Autor!!! Wirklich intelligent u. mit vielen Schmunzeleinlagen geschrieben.
Sehr, sehr schoen geschrieben. vielen dank. Der Maccabi-bund hat ueberhaupt einige Ironien zu bieten die dem Klischee vom Zionisten entgegenstehen. U.a. auch der ueberproportionale starke Support von Maccabi Haifa (incl. Kurve) durch arabische Israelis.
Vielen Dank! Ja, das hat mich bei der Recherche ehrlich gesagt auch überrascht, dass in Nazareth, zumindest früher ja eine Hochburg der Kommunisten in Israel, nicht Hapoel sondern doch Maccabi den Ton angibt, und es im eigentlich konservativeren Nazareth Illit, das ja als neue Siedlerstadt eher dem Zionismus zugeneigt sein sollte, genau umgekehrt ist
Sehr gut geschrieben, großes Lob 😀
Hat zwar nix mit dem zu tun, aber FC Kaiserslautern steht überraschend ohne trainer da..
Bin schon neugierig wann foda ins spiel gebracht wird..