BALLESTERER: Heldinnen gesucht
Jörg Leichtfried ist eine Ausnahme. Dass sich Politiker vor Wahlen bei Sportveranstaltungen blicken lassen, um den Ehrenankick vorzunehmen und in die Menge zu winken, ist nicht ungewöhnlich. Doch das ist nicht allein der Grund für seine Anwesenheit. Es ist Leidenschaft. Jörg Leichtfried, geboren in Bruck an der Mur und als Verkehrsminister beruflich meist in Wien, ist als Fan in Graz-Messendorf im Trainingszentrum des SK Sturm. Aber nicht als Anhänger der Profis, der Amateure oder eines Teams, in dem ein Verwandter mit von der Partie ist. Nein, Jörg Leichtfried ist Fan der Sturm-Damen – und nicht nur vor Wahlen am Platz.
Die Menge ist an diesem Tag überschaubar. 300 Personen sind es nach offiziellen Zahlen, die sich an diesem sonnigen Samstag Anfang September bei fünf Euro Eintritt – Dauerkartenbesitzer der Profis dürfen gratis hinein – das Duell mit dem USC Landhaus nicht entgehen lassen wollen. Die Begeisterung für das österreichische Nationalteam ist seit der EM in den Niederlanden groß, doch dieses Spiel der vierten Meisterschaftsrunde zeigt, dass Stimmung und Kulisse einer Begegnung in der höchsten Liga der Frauen weiterhin mit einer Unterhauspartie bei den Männern vergleichbar sind. Dabei treffen hier die aktuellen Vizemeisterinnen auf den USC Landhaus, der alle drei bisherigen Saisonspiele für sich entscheiden konnte.
Gössendorfer Wiederverwertung
Mit Christian Jauk hat sich ein weiterer prominenter Besucher unter die Zuschauer gemischt. Wegen einer Hochzeit schafft der Sturm-Präsident es heute nicht zum Duell der Männer mit dem Aufsteiger LASK in Pasching, daher nutzt er die Zeit für den Besuch bei den Frauen. „Wir waren Pioniere“, sagt er. „Neben Wacker Innsbruck waren wir der erste Bundesliga-Klub mit eigener Frauenabteilung.“
Der zweite aktuelle Männer-Bundesligist, der auch mit einer Frauenabteilung in der höchsten Spielklasse aktiv ist, kommt aus Sankt Pölten. Dort, wo seit 2011 das einzige Frauennachwuchszentrum des Landes vom ÖFB unterhalten wird, spielt der derzeit erfolgreichste Klub des Landes. Der SKN übernahm 2016 den FSK St. Pölten, der sich einst als ASV Spratzern mit dem SV Neulengbach um die Spitze duellierte. Weil Neulengbach finanzielle Nöte plagen, ist Sankt Pölten bei den Frauen heute das Maß aller Dinge. Auch dank des Unterbaus aus dem angeschlossenen Nachwuchszentrums und der herausragenden Infrastruktur gewannen die Niederösterreicherinnen die letzten drei Meisterschaften. Der SKN Sankt Pölten ist auch der einzige Verein, bei dem wohl manche Spielerinnen vom Fußball leben können.
Selbst bei den Sturm-Damen ist das ganz anders. Ganz zu schweigen von Vereinen wie Union Kleinmünchen, FC Bergheim und dem Stadtrivalen LUV Graz. Ein paar Tage nach dem Spiel gegen Landhaus versammeln sich die Sturm-Spielerinnen für das Abendtraining in Gössendorf. Gössendorf? Der südliche Vorort von Graz wird bei aufmerksamen Fußballfans Assoziationen hervorrufen. Im Jahr 2003 eröffnete Sturm-Präsident Hannes Kartnig hier auf 21.500 Quadratmetern um 2,9 Millionen Euro die vierte Fußballakademie Österreichs. Die Ausbildungsstätte für junge Fußballer ist längst in die Stadt gezogen, die Räumlichkeiten werden aber vom Verein weiter genutzt. Für den Männer-Nachwuchs und die Frauen. Inzwischen würden die Räumlichkeiten wieder eine kleine Renovierung vertragen, doch gemessen an den Verhältnissen in der Liga sind die Bedingungen außergewöhnlich gut.
Hauptamtliches Training
Das weiß auch Mario Karner, der am Rasen vor dem Eingang zu den Kabinen steht. Er ist seit Gründung der Frauensektion im Mai 2011 ihr sportlicher Leiter. „Wir dürfen uns nicht beschweren. Im Vergleich mit den anderen Klubs haben wir eine hervorragende Infrastruktur“, sagt er. „Ob Naturrasen, Kunstrasen, Besprechungs-, Massage- oder Fitnessraum – hier gibt es alles, was wir für die professionelle Arbeit benötigen.“ Und die Einrichtungen werden intensiv genutzt. Fünfmal die Woche trainieren die Sturm-Spielerinnen seit heuer. „Wir haben gerade in der Champions League gesehen, dass wir körperlich noch mehr tun müssen“, sagt Karner. Und lädt den ballesterer ins Innere. Im Fitnessraum hat er für die Kickerinnen ein Zirkeltraining aufgebaut und pusht sie bei lauter Technomusik zu Höchstleistungen. Die Motivation ist groß, der Einsatz stimmt. Aber nicht alle sind von den neuen Methoden restlos begeistert.
„Wir merken schon, dass es ein paar Spielerinnen gibt, denen der zusätzliche Aufwand bald zu viel werden könnte“, sagt Christian Lang, seit Sommer Trainer der Sturm-Damen. Der langjährige Jugendtrainer ist seit 2014 hauptberuflich im Verein tätig und löste genau deshalb Markus Hiden ab. „Die Trainingsintensität war für unseren nebenberuflich Tätigen schwer vereinbar“, sagt Karner. Aber auch sonst soll sich dieses Jahr einiges ändern. Nach zwei Vizemeistertiteln in Folge wollen die Grazerinnen ihre Spielweise umzustellen. „Wir müssen einen anderen Fußball spielen. Früher haben wir abgewartet und schnell umgeschaltet, jetzt müssen wir das Spiel machen. Wir wollen unserer Gegnerinnen im letzten Drittel ausspielen, da müssen wir noch ein bisschen dazulernen“, sagt Trainer Lang.
Fitness, Fitness, Fitness
Dass einigen Fußballerinnen der professionellere und intensivere Weg zu zeitaufwendig werden könnte, ist ihnen nicht zu verdenken. Der Alltag als Bundesliga-Spielerin ist nicht nur bei Sturm hart. Isabella Posch trägt die Nummer neun und ist Stürmerin. „In der Freizeit machen wir eigentlich nicht viel mehr als Fußball spielen“, sagt sie. „Unser Zeitaufwand ist ähnlich wie bei den Männern. Aber ich mache es gerne, weil es mir Spaß macht.“ Wie viel man bei Sturm verdient, will keine der Spielerinnen verraten. Fest steht: Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zur Entlohnung. Leben kann davon keine. Nicht einmal annähernd.
Auch Emily Cancienne nicht. Die 25-jährige Amerikanerin ist seit 2015 bei Sturm unter Vertrag. Als ehemalige Collegefußballerin in Louisiana ist sie es gewohnt, vor größeren Zuschauerkulissen zu spielen. Ihrem Talent verdankte sie ein Stipendium an der renommierten Louisiana State University in Baton Rouge, wo sie auch ihren Abschluss in Sportmanagement machte. Einen Vertrag bei einem Profiteam in der zehn Teams umfassenden National Women’s Soccer League ergatterte Cancienne allerdings nicht. „Mein Traum war es eigentlich, in Italien zu spielen. Über eine Freundin bin ich in Zagreb gelandet, über Umwege hat es mich dann nach Graz verschlagen“, sagt sie und ergänzt mit einem Lächeln: „Zumindest ist es ein bisschen italienisch hier.“ Körperlich ist Cancienne den meisten Gegnerinnen in Österreich überlegen. Das hat einen einfachen Grund: „Der amerikanische Frauenfußball setzt auf drei Dinge: Fitness, Fitness und noch einmal Fitness.“
Anders als die meisten ihrer österreichischen Teamkolleginnen spielte Cancienne schon früh nur mit Mädchen in einem Team. Frauenfußball in den USA ist bereits wesentlich länger etabliert. In Graz ist Cancienne zwar Legionärin, verdient ihren Unterhalt allerdings mit Englischunterricht. Vergangenen Sommer ist der Amerikanerin die Mitbewohnerin abhandengekommen. Stefanie Enzinger, die bei der EM gegen Island ein Tor erzielte, ging nach Sankt Pölten. „Ich wäre auch gewechselt“, sagt Emily Cancienne. Den Spielerinnen ist bewusst, dass der Meister derzeit in einer eigenen Liga spielt und die besten Möglichkeiten zur Weiterentwicklung bietet.
Ein Zentrum im Süden
Genaue Budgetzahlen will der SK Sturm keine nennen. „Aber Sankt Pölten hat dreimal so viel Geld zur Verfügung wie wir“, sagt der sportliche Leiter Karner. Der Schluss liegt nahe, dass Vizemeister Sturm den sportlichen Zenit bereits erreicht hat. Aber Karner will mehr. „Ich bin Visionär. Als wir angefangen haben, habe ich gesagt, dass wir in fünf Jahren in der Champions League spielen wollen. Ich bin damals eher belächelt worden, aber wir haben es bereits zweimal geschafft.“ 2016 scheiterte Sturm gegen den FC Zürich in der Runde der letzten 32. Heuer reichte es nicht für die K.-o.-Phase. Nach zwei Siegen scheiterten die Grazerinnen in ihrer Qualifikationsgruppe am zypriotischen Meister Apollon Limassol. „Wir wollen in Zukunft international noch besser mithalten“, sagt Karner. „Die Basis dafür ist eine Ausbildung für Mädchen im Süden Österreichs. Daher ist es unser nächstes großes Ziel, ein Nachwuchszentrum in Graz zu etablieren. Ohne den ÖFB werden wir das aber nicht schaffen.“ Stürmerin Posch sieht das ähnlich. Wenn sie einen Wunsch an den Verband richten könnte, wäre es dieser. „Solange es nur ein Leistungszentrum in Österreich gibt, werden die besten Spielerinnen immer vermehrt in Sankt Pölten aktiv sein“, sagt die 23-Jährige. Mit Celina Degen, Yvonne Weilharter, Julia Mak und Besijana Pireci sind auch junge Sturm-Spielerinnen in der einzigen Mädchenakademie Österreichs. Sie pendeln zwischen Akademiebetrieb in Niederösterreich und Meisterschaft in der Steiermark. Die U15 der Sturm-Damen gibt es mangels Spielerinnen mittlerweile nicht mehr.
So schnell wird sich diese Situation nicht ändern. Auf etwaige neue Frauennachwuchszentren in anderen Bundesländern angesprochen, sagte ÖFB-Präsident Leo Windtner dem ballesterer vor einem Monat: „Da stellt sich vorweg die Frage der Finanzen, weil ein professionell geführtes Leistungszentrum sehr kostenintensiv ist. Wenn das Potenzial in der gewünschten Dimension wachsen sollte, ist das in fünf bis zehn Jahren durchaus anzudenken.“
Schulbesuche geplant
Ob nun der Verband Vereine wie den SK Sturm bei Akademiebestrebungen zu wenig unterstützt oder Klubs wie der SK Sturm selbst zu wenig Geld in die Hand nehmen, die Bundesliga hat ein Problem – nicht ausreichend Strahlkraft. Iris Stöckelmayr, beim ÖFB für Medien und Kommunikation zuständig, zieht den Vergleich mit dem Nationalteam: „Die Resonanz auf die Teamspielerinnen ist seit der EM enorm. Ob beim Tag des Sports mit langen Warteschlangen von Autogrammjägern, den beeindruckenden Einschaltquoten während der EM oder dem ersten ORF1-Länderspiel der Frauen – in den Niederlanden wurden Heldinnen geboren. Und die brauchen wir, damit der Sport weiterwachsen kann.“
Nur solche Heldinnen sind in der Bundesliga kaum in Sicht, zu klein war die Rolle von Teamspielerinnen wie Sturms Katharina Naschenweng, die bei der EM ohne Einsatz blieb. Wie bei den Männern gilt auch bei den Frauen: Die richtig guten Spielerinnen wechseln rasch ins Ausland. Die Qualität der Liga müsste wohl im Gesamten steigen, damit die besten bleiben. Dafür braucht es mehr Aktive. „Es wird entscheidend sein, dass wir vermehrt in Kindergärten und Schulen gehen, um noch mehr Mädchen vom Fußball zu begeistern“, sagt Sturm-Trainer Lang. Zudem braucht es wohl mehr Vereine wie den SKSturm. Das Umfeld eines Profiklubs bietet neben Synergien auch ein größeres Potenzial zum Mitstrahlen, als es der USC Landhaus hat.
Das hilft den Sturm-Damen heute allerdings sportlich nicht. Die Wienerinnen entscheiden das Match verdient für sich. Sturm hat über weite Strecken Probleme, das Spiel zu machen, und Landhaus reicht ein Konter zum 1:0. Die Theorie der Strahlkraft der Männer-Bundesliga wurde bei Landhaus übrigens schon erkannt. Das Team, das in Graz in Violett antritt, ist seit 2015 Kooperationsverein der Wiener Austria und wird über kurz oder lang komplett von den Favoritnern übernommen werden. Jörg Leichtfried könnte unter seinen Kollegen bald Gesellschaft bekommen.
Dieser Beitrag erscheint mit freundlicher Genehmigung von Ballesterer, dem österreichischen Fußballmagazin. In der aktuellen Ausgabe (#126) findet ihr unter anderem auch noch folgende Artikel:
- Arbeiterfußballer Erwin Seeler
- Die Fußballstadt Hamburg
- Das starke und schwache Fundament
- Die Ära Koller
- Falsche Parteinahme
- Sektorsperren im Europacup
- Die Stadionpläne von Union Berlin
Aber hauptsache wir leisten uns zu jedem (halbwegs erfolgreichen) Sportler gefühlte 20Funktionäre..