Als ein ÖBB-Bediensteter Sturm nach Kapfenberg verschubte

„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Genau aus diesem Grund blickt SturmNetz in regelmäßigen Abständen zurück in die Historie eines Vereines, der so viele Hochs und Tiefs überwunden hat wie wohl nur wenige andere Klubs. Der beispielsweise einst europaweit für Furore sorgte, um kurz danach finanziell in der Gosse zu landen. Ivica Osim brachte es wunderbar auf den Punkt: „Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist, aber auch.“ Wir erzählen in dieser Rubrik „Gschichtn“, stürmische Gschichtn eben.

Im Sommer 1992 klafft wieder einmal ein großes Loch im Budget des Sportklub Sturm und die Vereinsführung muss sich wohl oder übel von einigen teuren Spielern trennen. Ein großer Teil der „K&K-Gang“ – Otto Konrad, Günther Koschak, Walter Kogler und Sigurd Kristensen – ist nicht mehr zu halten. Immerhin stoßen allerdings auch vier neue Akteure zur Mannschaft: Rupert Marko kehrt -fünf Jahre, nachdem ihn „Wödmasta“ Ernst Happel nach Tirol holte – heim, Stürmer Igor Calo kommt von Inter Zapresic, Routinier Dino Angerer soll den schmerzvollen Abgang von Otto Konrad Richtung Salzburg einigermaßen kompensieren, vor allem aber steckt man in einen anderen Ehemaligen große Hoffnungen: Walter Hörmann. Für den Riegersburger heckt man sich sogar – wie einst für Marcel Boyron und analog dazu – den Hörmann-Schilling aus, mit welchem der Sportklub im Zuge dieser Aktion die Eintrittspreise für die Heimspiele gegen St. Pölten, Rapid, Steyr und Admira explizit für dessen Finanzierung um 20 Schilling erhöht. Ganz neu ist in diesem Sommer auch die erstmals elektronisch gehaltene Gruabn-Matchuhr – installiert von der Stahlbaufirma Heidenreich, wo Mario Haas gerade seine Lehre absolviert und tatkräftig mit Hand anlegt. Im Vollsprint versteht sich. Vor allem erfüllt man mit dieser Novität jedenfalls einen langjährigen Wunsch der Stadionsprecher-Legende Günther Schrey und bedankt sich bei ihm damit für mehr als 1000 abgeleistete Pflichtspiele als „Stimme des SK Sturm“.

Unerwartet erfolgreicher Start ins Meisterschaftsjahr 1992/93

Als Saisonziel wird ausgegeben, sich wie in der abgelaufenen Spielzeit das Mittlere-Play-Off zu ersparen und nachdem man zwar zum Auftakt am alten Innsbrucker Tivoli mit 0:4 unterging, schlägt man in den folgenden vier Runden St. Pölten, den LASK und Rapid (2:0 durch Tore von Calo und Deveric) und holt beim VfB Mödling ein Remis. Somit empfängt die Pflug-Truppe am 12. August als Tabellenvierter Vorwärts Steyr. 8.000 Besucher strömen – wohlgemerkt an einem Werktag – in die Gruabn, wo aufgrund des noch fehlenden Flutlichts an der altehrwürdigen Spielstätte bereits um 18:00 angepfiffen wird. Was als Angriff auf die Tabellenspitze startet, mündet jedoch in einen echten schwarzen Mittwoch.

Wolfgang Schwarz, Martin Hiden, Damir Muzek, Arnold Wetl, „Jon Bon Jovi Kogler“ und Walter Hörmann

Ein Weststeirer als Großmeister der Provokation

Vor allem auch, weil mit dem ÖBB-Bediensteten Johann Scheuhammer ein Mann auf den Plan tritt, der für viele ältere Sturmknofl noch bis heute als Synonym für desaströse Schiedsrichter-Leistungen gelten sollte. Unter schwarz-weißen Nostalgikern wird der Unparteiische aus Wiener Neustadt stets in einem Atemzug mit Namen wie Romualdas Yuschka, Miroslav Radoman und Thomas Einwaller genannt. Bereits in der neunten Spielminute bleibt seine Pfeife im Doppelpack stumm, als zunächst Damir Muzek und alsbald Stephan Deveric im Strafraum regelwidrig gelegt werden. Mehr noch: Infolgedessen spöttelt Vorwärts-Goalie Manfred Trost in Richtung des kroatischen Stürmers, der 1984 mit Jugoslawien zur Europameisterschaft in Frankreich fuhr. Der ehemalige GAK-Torhüter aus Mooskirchen, der in jener Zeit dem Steier-Tor zu einer echten Renessaince verhalf und für viele Sturmanhänger aufgrund seiner sportlichen Vergangenheit ohnedies schon als rotes Tuch galt, provoziert Deveric, schupft ihn, zerrt an seinem Trikot und bläst noch einige weststeirisch-verbale Fäkal-Schmankerl – die Gerüchten zufolge nur durch den späteren Einsatz von eigens dafür angeschafften Übersetzer-Doggen als solche identifiziert werden konnten – aus seiner Kehle, anstatt ob des ungerechtfertigt ausgebliebenen Elfers durchzuatmen und Luft zu holen. Der Kroate verliert die Nerven, reagiert dementsprechend rustikal und versetzt dem Torhüter einen heftigen Punch. Klar, dass der Steyr-Goalie die Steilvorlage dankend annimmt und wie von der Tarantel gestochen zu Boden geht. Glatt Rot – ohne Wenn und Aber. Bloß die Vorgeschichte, die den Deveric-Auszucker bedingt, will der Unparteiische allerdings nicht vernommen haben. Und wieder einmal kocht es in der Gruabn. Sturm kämpft, rackert und geht durch ein Unterzahl-Tor des Heimkehrers Marko sogar in Führung. Jedoch löst vorrangig weiterhin jede einzelne Scheuhammer-Aktion ein wüstes Pfeifkonzert aus, der später auch noch zu Protokoll geben wird, er fühlte sich von Minute zu Minute mehr unter Druck gesetzt und wollte unter allen Umständen vermeiden, unter dieser Last einzubrechen. Dementsprechend leitet er auch den Rest der Partie. Steyr nutzt diesen Rückenwind und noch vor dem Pausenpfiff ist es erneut ein  Ex-GAK-Akteur, der sich entscheidend in Szene setzt. Der Murtaler Johann Kogler, damals auch Jon Bon Jovi für Arme genannt, trifft zum Ausgleich. Blaze the Glory.

Hochedlinger, Vukovic, der sterbende Schwan Manfred Trost und Skandal-Schiri Scheuhammer (c) F. Fischer/Sturm Graz

Kurz nach Wiederbeginn erzielt der tschechische Stümerstar Ivo Knoflicek auch noch das 2:1 für die Oberösterreicher und als ausgerechnet Richard Niederbacher in Minute 80 für die Entscheidung zugunsten der Gäste sorgt, mutiert die Gruabn nun endgültig zu einem Pulverfass. Dabei bescherte der Gleisdorfer Stürmer und Teenie-Schwarm dem SK Sturm noch neun Jahre zuvor einen essentiellen Geldregen, als er den Jakominigürtel gegen Waregem eintauschte. Sturm war zwar wie Steyr durchaus auch an einer (erneuten) Verpflichtung des ehemaligen Belgien-Legionärs interessiert, jedoch fehlte dafür schlicht Bares in der Vereinskasse. Niederbacher, dadurch sichtlich noch immer in seiner Ehre gekränkt, reißt sich nach seinem 3:1-Treffer den Vorwärts-Dress vom Leib und erweist sich wie Torhüter Trost zuvor – als wahrer Zündler: Mehrere Ehrenrunden am Gruabn-Rasen tun ihr Übriges, zudem schwingt er sein ausgezogenes Trikot mit einer Leidenschaft wie 27 Jahre später ein Ex-Sturm-Mittelfeld-Star sein Gemächt in einem rumänischen Aufzug. Zahlreiche Fans klettern auf den Zaun, das Spiel steht kurz vor dem Abbruch. Auch weil Scheuhammer zu allem Überdruss noch Sturm-Trainer Pflug des Feldes verweist, hatte dieser doch gewagt, neben der Betreuerbank zu stehen, anstatt sich, wie auf Geheiß des (Un)parteiischen, hinzusetzen. Als der Schiri Kapitän Heinz Thonhofer – im Zivilberuf Polizist – befielt, ihm bei der Verstärkung des Ordnerdienstes zu assistieren, entgegnet dieser ihm, er könne schlecht in eine solche Nebenrolle schlüpfen. Prompt hat Thonhofer ob dieser unglaublichen Frechheit den gelben Karton vor der Nase. Schier unglaubliche Szenen.

Faksimilie, Kronen Zeitung, August 1992: Jugendliche Fans protestieren gegen die Entscheidungen des Unparteiischen

Scheuhammer beendet die Partie überpünktlich, flüchtet über die Gruabnstiege in das Klubhaus, wo er schon von einer beträchtlichen Anzahl an Sturmanhängern erwartet wird. Dort verbarrikadiert sich der Niederösterreicher, während die Grazer Exekutive erstmals Erfahrung mit einer primitiven Frühform von „Exit The Room“ sammelt. Mit einer Finte will man hierbei den langen Sturm-Siegi samt Gefolgschaft überlisten: Nachdem sich der Polizei-Führungsstab eine Stunde lang berät, ruft man gleich zwei Flucht-Taxis, um zu tarnen sowie zu täuschen und vor allem den aufgebrachten Mob ein wenig zu splitten. Scheuhammer kraxelt aus dem Fenster eines Hinterzimmers des Klubhauses, steigt in eines der beiden bereit gestellten Kraftdroschken und macht sich unversehrt aus dem Staub. Nichtsdestotrotz flattern nur wenige Tage später mehrere Anklagen des Schiedsrichters gegen den Klub in das Haus: Auf sieben Seiten liest man darin vom Versagen des Ordnerdienstes, einem Klubpräsidenten (Charly Temmel, Anm.), der nur von der Polizei daran gehindert werden konnte, dem Schiri an die Gurgl zu gehen, von etlichen Bierduschen und selbst der stets ehrenwerte Platzsprecher Schrey bekam sein Fett weg. So soll Scheuhammer auf seiner Rasenflucht noch aus der krachenden Tonanlage vernommen haben, dieser habe durch den Äther geplärt, „nicht unsere Spieler haben verloren, sondern andere“.

Kapfenberg als notgedrungenes Avignon

Während Coach Robert Pflug mit einer Geldstrafe von 5.000 Schilling noch recht glimpflich davon kommt, Thonhofer und Deveric eine Sperre absitzen müssen, Calo und Wetl Verletzungen erleiden, schmeckt vor allem eine Sanktion am bittersten: Dem SK Sturm wird eine Platzsperre für ein Bundesligaspiel aufgebrummt und muss einen temporären Auszug aus der Gruabn gen Kapfenberg antreten. Beim Aufeinandertreffen mit der Austria aus Salzburg – gerade hoch wie nie zuvor und mit Otto Konrad erstmalig in einem gegnerischen Torhüterpullover – darf daher das Alpenstadion als Substitut herhalten. Für Schiedsrichter Scheuhammer jedoch gibt es keinen Schuldspruch. Es sollte aber dieser Auftritt sein viertes und gleichzeitig  letztes Gastspiel am Jakominigürtel bleiben. Seine Bundesliga-Karriere endet freilich erst fünf Jahre später.

Historische Unserie beginnt, Kartnig übernimmt

Auch in Kapfenberg sind 8.000 Zuschauer zugegen, Waschi Kern – den nur kurze Zeit später eine schwere Gesichtsverletzung monatelang außer Gefecht setzen sollte – erzielt sein einziges Pflichtspieltor in Schwarz-Weiß, doch Sturm verliert dennoch mit 1:2. Nach dem Steyr-Skandal bleibt man überdies den gesamten restlichen Herbst und in Summe 16 Runden lang ohne einen einzigen Sieg, mit dem Tiefpunkt, dass im Heimspiel gegen den Wiener Sportklub nur noch 582 Zahlende den Weg in die Gruabn finden. Und auch diese mickrigen Einnahmen sind futsch, als in der Halbzeitpause der Exekutor an die Tür des sperrigen Klubgebäudes klopft und sich selbst die paar Kröten noch unter den Nagel reißt. Dieser Herbst brachte aber auch zwei nachhaltige Veränderungen mit sich: Bereits am 13. Oktober 1992 beerbt der Slowake Ladislav Jurkemik den glücklosen Robert Pflug als Sturm-Trainer, kann aber den bitteren Gang in die „Todesgruppe“ Mittleres Play-Off nicht verhindern. Und im Dezember ist die Zeit nun endgültig reif für Hannes Kartnig. Der Werbeunternehmer und Präsident des EC Graz übernimmt von nun an eine doppelte präsidiale Rolle, pulvert Millionen (Schilling) in den Verein und rettet Sturm aus den allerärgsten finanziellen Nöten. Bereits von Start weg wird ein Neuaufbau angestrebt: Der erste Abstieg nach 24 Jahren im Oberhaus scheint nach und nach Gewissheit zu werden und der Neo-Präsident will den Spielbetrieb mit einer ganz jungen Truppe, hauptsächlich bestehend aus Eigengewächsen auf Amateurbasis, umstellen. Der SuperGAU  Zweite Liga allerdings wird fast wie durch ein Wunder und in beinahe letzter Sekunde abgewendet, doch darüber erzählt eine bereits abgehandelte, ganz andere stürmische Geschichte.

Heinz Thonhofer erinnert sich für SturmNetz an die damaligen Ereignisse und speziell an diese eine Begegnung:

„Ich kann mich noch gut an die nicht gegebenen Elfmeter erinnern. Wir alle sind zu Scheuhammer gelaufen und konnten nicht glauben, dass er nichts gesehen hat. Mehr noch: Scheuhammer hat mich beschuldigt, ich wiegle das Publikum gegen ihn auf. Er forderte mich auf, die Leute nicht noch mehr in Rage zu bringen. Ich gebe zu, ein klein wenig hab ich mit beiden Händen schon den Anhang gepusht, aber man muss verstehen: Diese Saison war für mich so etwas wie meine Abschiedstournee, da macht man gerade als Kapitän alles für den Erfolg seiner Mannschaft. Klar haben beide Seiten nicht richtig reagiert, aber so ist halt der Fußball. Die Gruabn war voll, wir standen alle unter Adrenalin, da passieren halt manchmal solche Dinge. Dass ich ihm nicht geholfen hab, die Ordner zu delegieren, dazu stehe ich auch noch heute. Immerhin war ich Spieler. Nach dem Schlusspfiff ging es natürlich auch noch rund: Beim Stiegenaufgang stand immer eine ältere Dame, die hat dem Schiedsrichter beim Verlassen des Platzes noch eine mit ihrem Schirm drübergezogen. Heutzutage wäre so etwas völlig undenkbar. Scheuhammer, der als ÖBB-Bediensteter ja immer mit dem Zug angereist ist, verließ das Klubhaus durch ein Hinterfenster und wurde unter Polizeischutz mit einem Taxi zum Bahnhof gebracht. Diese Niederlage war sicher der Knackpunkt in diesem Herbst. Die Platzsperre tat noch ihr Übriges dazu: Klar kamen zum Salzburg-Spiel auch 8.000 Leute nach Kapfenberg, aber der echte Heimvorteil war weg. Ganz einfach, weil das Alpenstadion und seine weitläufige Laufbahn mit der Enge in der Gruabn einfach nicht zu vergleichen ist. Als Trainer in Donawitz ist mir Scheuhammer Jahre später wieder als Schiri-Beobachter über den Weg gelaufen. Wir haben uns gegrüßt und das war es schon. Der 12. August 1992 wurde nicht thematisiert.“

*Heinz Thonhofer bestritt zwischen 1982 und 1993 über 300 Pflichtspiele für Sturm, brachte es von Graz aus zu Länderspiel-Ehren und beendete seine aktive Karriere beim KSV.  Nach Trainerstationen bei DSV Leoben, SV Bad Aussee, FC Waidhofen/Ybbs und Flavia Solva saß er bis vor zwei Jahren – und insgesamt fünf Jahre lang – auf der Betreuerbank des Regionalliga-Ost-Vereins SKU Amstetten. Für diesen ist er auch noch heute in beratender Funktion tätig.

 

10 Kommentare

  1. scheno sagt:

    boah ich kann mich so gut erinnern daran, ich hab als junger bub vor verzweiflung und wut geheult auf der tribüne und war danach auch bei der belagerung beim klubhaus. wenn der legendäre sigi (rip) den scheuhammer erwischt hätte, hätt er ihn in mehrere teile zerrissen.

    • Siro sagt:

      Zudem war die Spannung bei 8.000 Besuchern in der Gruabn mind. so aufgeladen, wie wenn 30.000 Sturmfans im Wörthersee-Stadion sind.
      War schon alles ein Wahnsinn und so wie es im Artikel auch steht: Heute nicht mehr vorstellbar.

  2. mahoni sagt:

    Danke für den super Bericht. Es gab damals auch noch den Petro-Schilling um Mischa Petrovic halten zu können. Die Blockade vor dem Klubhaus habe ich allerdings nicht so schlimm in Erinnerung. Ein Wiener Verein hätte für das maximal eine Geldstrafe bekommen. Aber die Fahrt nach Kapfenberg war ja auch amüsant.

  3. Arch Stanton sagt:

    Na ja, Mittelfeldstar.. ts
    Spitzenartikel. Danke.

  4. sks1909 sagt:

    Als77er Jahrgang kommen Kindheits/Jugenderrinerungen hoch – es war ein Wahsninn, vor allem dann der Umbruch mit den ganz Jungen Haas, Wetl, Schopp uvm..wird mir für immer in Erinnerung bleiben – ich durfte die Gruabn als Kind und dann eben Jugendlicher zum Glück noch ein paar Jahre geniessen!!! Was für ein Mythos!!!

    • Fanatiker sagt:

      @sks1909

      So haben wir in den letzten 40 Jahren viele Höhen, und Tiefen miterlebt.
      Besonderes Flair wahren die Flutlichtspiele im Bundesstadion Liebenau so z.b. Mittwochs Abend 19:30…

      PS: bin ein junger 77ger Jahrgang…

  5. lobbo sagt:

    „Ex-Sturm-Mittelfeld-Star sein Gemächt in einem rumänischen Aufzug. “

    Was wer wie? will wissen! 😀

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