Alles Gute, Coach!
45 erlebnisreiche Jahre liegen hinter unserem aktuellen Cheftrainer, Christian Ilzer. SturmNetz hatte Gelegenheit, dem Geburtstagskind einige Fragen zu stellen. Die Themen: sein persönlicher Werdegang, taktische Ideen, Authentizität, Ehrgeiz. Ilzer wusste zu allen Fragen ebenso ausführliche wie aufschlussreiche Antworten zu geben – trotz vollen Terminplans.
Märchenhafter Aufstieg?
Auf seinem Weg zum hochgeschätzten Bundesligatrainer musste der heutige Jubilar häufig Rückschläge in Kauf nehmen. Der in der Marktgemeinde Anger geborene, nun 45-jährige Sturm-Coach ist niemand, der sich vom Schicksal bremsen lässt. Im Gegenteil: seit jeher dürften Misserfolge den Oststeirer erst recht zu Höchstleistungen angetrieben haben.
Der Traum von einer erfolgreichen Spielerkarriere zerplatzte verletzungsbedingt früh. Vier Kreuzbandrisse stürzten ihn keineswegs in Verzweiflung – die erzwungenen Pausen nutzte er, um erste Erfahrungen als Fußballtrainer zu sammeln. Christian Ilzers Werdegang ist kein modernes Märchen – aber der Beweis dafür, dass Fleiß, Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit manchmal eben doch belohnt werden.
Erste Schritte einer langen Reise
Seine Liebe zum Fußball entwickelte er in der Nachwuchsabteilung des USK Puch bei Weiz. Insgesamt zehn Jahre, größtenteils in den frühen 90er-Jahren, kickte er im dortigen Apfelstadion. Wie er SturmNetz gegenüber versichert, war er beim USK Teil einer „extrem erfolgreichen“ Mannschaft. Am Platz sei der junge Ilzer „ein geradliniger und schneller Stürmer mit gutem Torabschluss“ gewesen.
Wie im Amateurbereich üblich, übernahm er mit zunehmendem Alter immer defensivere Aufgaben. Im Alter von 20 Jahren bildete er zusammen mit seinem langjährigen und auch gegenwärtigen Co-Trainer Uwe Hölzl die Flügelzange des SV Anger.
Bevor er seine Karriere endgültig beendete – um, wie er sagt, auch in fortgeschrittenen Jahren noch normal Sport betreiben zu können und nicht als „Knie-Invalide“ zu enden – war er bereits hinten in der Zentrale tätig gewesen. Dort also, wo man einen zukünftigen Trainer am ehesten vermuten würde.
Dass Christian Ilzer nicht nur ein extrem ehrgeiziger Mensch, sondern (im positiven Sinne) auch ein Sturschädel ist, kann man nur schwer von der Hand weisen. Nach seiner Zeit an der HTL arbeitete Ilzer als Elektrotechniker. Ein Beruf, der dem damals knapp 20-Jährigen zwar Stabilität versprach, in welchem er sich aber nie wirklich zuhause fühlte. Ilzer beschloss also, seine ganze Energie in die erträumte Trainerkarriere zu investieren, entgegen des nicht vollkommen ungerechtfertigten Einwands seines eigenen Vaters:
„Du warst kein Fußballer. Wie willst du Trainer werden und davon leben können?“
Er studierte zunächst Medizin, anschließend Sportwissenschaften. Zeitgleich feierte Sturm unter Ivica Osim sensationelle Erfolge. Das magische Dreieck, die Meistertitel, Champions League – in Graz entstand eine einzigartige Stimmung, die auch an Ilzer nicht spurlos vorüberging. Er war bekennender Fan dieser Mannschaft und regelmäßiger, begeisterter Zuschauer. Zu jener Zeit manifestierte sich endgültig das Ziel, selbst eines Tages Teil „einer absoluten Profimannschaft“ zu sein.
Immer schon anders
In der Jugend von großen Träumen beseelt zu sein, ist völlig normal. Meistens jedoch lösen sich diese im Laufe der Jahre in Luft auf. Ein ruhiges, bürgerliches Leben – häufig die erstrebenswertere Variante. Weil nachhaltiger Erfolg nur das Ergebnis von harter Arbeit und schmerzhaftem Verzicht sein kann.
Ilzer investierte jeden Cent in seine Ausbildung und nahm so gut wie jede Chance wahr, sein Verständnis für Fußball und den Profisport allgemein aufzubessern. Unter anderem absolvierte er in München eine Ausbildung zum Spielanalysten, heuerte außerdem zwischen 2011 und 2013 als Fitnesstrainer beim ÖFB-Nachwuchs an.
Marco Hödl, zurzeit als Stürmer bei Austria Salzburg gesetzt, arbeitete damals mit ihm zusammen. Im Vorfeld der Cup-Begegnung bei Sturm Graz gab dieser gegenüber LAOLA1 zu Protokoll:
„Chris war immer schon anders, als der reine Fitnesstrainer. Ich habe es damals schon gemerkt, und er hat es eh auch schon anklingen lassen, dass er einmal in die jetzige Richtung gehen möchte. Dass es für ihn so aufgeht, ist natürlich ein Wahnsinn und freut mich auch.“
Hödl ist nicht der einzige, der Ilzers Potential früh erkannt haben will. Viele seiner Wegbegleiter entwickelten sich zu Bewunderern. Bei allen bisherigen Stationen hinterließ Christian Ilzer eine bleibende Duftspur. Den Wert moderner Trainingsmethoden, detaillierter Datenerfassung und umfassender Leistungsanalyse hatte er früher erkannt, als manch wichtiger Entscheidungsträger des österreichischen Fußballs. Kein Wunder, dass ihm schnell das seltsame Etikett „Laptop-Trainer“ verpasst wurde. Auch kein Wunder, dass er die in den vergangenen 15 Jahren erfolgte Verwissenschaftlichung des Fußballs zu seinem Vorteil nutzen konnte. Rasch erkannte er die mangelnde Aussagekraft von eher oberflächlichen Werten wie der Ballbesitzstatistik.
Wenn „gewisse Daten sehr unreflektiert in der Öffentlichkeit verwendet werden, um einen gewissen Spielstil oder gewisse Ergebnisse zu beschreiben“, reagiere Ilzer häufig mit einem Schmunzeln: „Da sind wir viel mehr in der Tiefe drinnen und verwenden auch wirklich komplexe Daten.“
Weiters betont er gegenüber SturmNetz in taktischer Hinsicht „sehr detailverliebt“ zu sein und (das überrascht wohl jene Kritiker, die glauben, Woche für Woche dieselbe medial häufig beschworene „Ilzer-Raute“ präsentiert zu bekommen) immer wieder Details nachzujustieren. So wolle er einerseits seinen Idealen näherkommen, andererseits am Puls der Zeit bleiben, beziehungsweise auch mal der Konkurrenz einen Schritt voraus sein.
Eine Behauptung, für die man in der jüngeren Vergangenheit offensichtliche Beweise finden kann. Man denke nur an Stefan Hierländer, der längst kein reiner Flügelspieler mehr ist, sondern immer öfters auch Jon Gorenc Stankovic aktiv im Sechserraum unterstützt. Von den vielen Feinheiten, die der laienhaft geschulten Öffentlichkeit wohl verborgen bleiben, ganz zu schweigen.
Auf das Reizwort „Laptop-Trainer“ angesprochen gibt der Sturmtrainer eine gewohnt kluge Antwort. Neben der essentiellen Notwendigkeit elektronischer Hilfsgeräte betont er außerdem den hohen Wert empathischer Mannschaftsführung:
Der Laptop ist das Werkzeug und wer den Laptop nicht einschalten kann, der wird auch aktuell keine Chance haben im Fußball. Wer sich aber auch nicht reindenken kann in seine Mannschaft, wer nicht fühlt, ob sein Team jetzt einen Tritt in den Hintern braucht oder einmal ein Schulterklopfen – ebenso wenig. Ich denke, oft steht auf den Köpfen der Spieler – wenn man genauer hinschaut – „Hilf mir!“. Und dieses Helfen, dieses zur Seite stehen, dieses Miteinander und dieses Füreinander bei einer großen Gruppe an Spielern – die auch in ihrem Umfeld so geführt werden, dass sie Individualisten sind – zu einem Team zu vereinen, genauso auch das Trainerteam zu führen und den Verein zu führen und auf einem Weg zu halten – das bedarf dann viel mehr, als nur einen Laptop einschalten zu können.
Nur wer bereit zu Aufbruch ist…
In der Saison 2017/18 wurde Christian Ilzer erstmals als Cheftrainer einem breiten Publikum bekannt. Völlig überraschend gelang es dem TSV Hartberg, den zweiten Platz in „Liga Zwa“ zu belegen. Aufgrund der damals anstehenden Ligareform eine Platzierung, die gleichbedeutend mit dem Aufstieg ins Oberhaus war. Allerdings schien es lange Zeit sehr unwahrscheinlich, dass Hartberg die Bundesliga-Lizenz erteilt wird. Für einen ambitionierten Menschen Grund genug, nach einem neuen Arbeitgeber Ausschau zu halten.
Das Ziel war klar: Bundesliga! Kurz zuvor hatte Ilzer endlich die Zusage erhalten, er bekam einen Platz bei den Kursen zur UEFA Pro Lizenz zugesprochen. Eine Ehre, die ihm mangels Spielerkarriere 2014 und 2016 vom ÖFB noch verwehrt geblieben war – allerdings Grundvoraussetzung ist, um in der höchsten Spielklasse als Chef-Trainer arbeiten zu dürfen.
Die legendäre Hartberg-Präsidentin Brigitte Annerl betonte oft, wie gerne sie weiterhin mit ihm zusammengearbeitet hätte – doch wie so viele andere war Ilzer davon ausgegangen, dass dem kleinen Verein mit der ausbaufähigen Infrastruktur die Lizenz für ganz oben verweigert werden würde. Seine Karriere setzte er darum beim Wolfsberger AC fort – wo er bereits zwischen 2015 und 2017 unter Heimo Pfeifenberger als Co-Trainer tätig gewesen war.
Auch in Kärnten stellte sich rasch der Erfolg ein. Präsident Dietmar Riegler stellte ihm einen für damalige Verhältnisse sehr guten Kader zur Verfügung. Aus diesem sollte Ilzer in seiner ersten Spielzeit als Bundesliga-Trainer auch das Maximum herausholen. Einerseits gelang es dem neuen Übungsleiter, junge Talente wie Sekou Koita oder Romano Schmid auf die nächste Stufe zu heben. Andererseits kristallisierte sich unter Christian Ilzer erstmals jener Stamm heraus, der bei den Lavanttalern künftig den Grundpfeiler allen Erfolgs stellen sollte – Mario Leitgeb, Michi Liendl, Michael Novak, Alexander Kofler, um nur einige zu nennen.
Der WAC stand in der Abschlusstabelle auf dem dritten Rang und qualifizierte sich erstaunlicherweise für den Europacup. Lediglich Serienmeister und Ligakrösus Red Bull Salzburg, damals trainiert vom international hoch angesehen Marco Rose, sowie der sich zu diesem Zeitpunkt als Spitzenmannschaft etablierende LASK, unter der Ägide des letztjährigen Europa-League-Siegers Oliver Glasner, errangen bessere Platzierungen. Der sogenannte nächste Schritt in Ilzers, ihn scheinbar unaufhaltsam nach oben führenden Karriere stand fest: Bei der Wiener Austria sollte er Interimstrainer Robert Ibertsberger beerben.
Eine lehrreiche Zeit
Angesichts des medialen Drucks und der fragwürdigen Rahmenbedingungen stand Ilzers Zeit bei den Veilchen von Anfang an unter keinem guten Stern. Sein damaliger Vorgesetzter, Sportdirektor Peter Stöger, gab kurz nach Ilzers Engagement öffentlich zu, dass sich dieser während seiner Zeit am Verteilerkreis wohl zu sehr mit Bereichen beschäftigen musste, „die wenig mit Sport zu tun hatten“, als dass er den ersehnten Erfolg garantieren hätte können. Er habe „wenig Handlungsspielraum“ gehabt.
Pures Gift also für einen Trainer, der mangels großer Spielerkarriere mit den für vermeintliche Spitzenvereine typischen Mätzchen keineswegs großgeworden ist, sondern sich vielmehr durch seine taktische Herangehensweise und hochmoderne Trainingssteuerung auszeichnet. Die Folge? Ilzers bis dahin ausgezeichneter Ruf war ernsthaft geschädigt.
Aufgrund der durchwachsenen Ergebnisse – man landete im unteren Play-Off, ausgerechnet gegen den TSV Hartberg verspielte man die letzte Chance auf eine Europacup-Teilnahme – schmähte ihn das Wiener Publikum als „Trainerlehrling“. Eine Anspielung, Stöger solle lieber selbst das Zepter übernehmen. Das tat der einstige Meistertrainer in der Folgesaison auch, denn Sturms Neo-Sportdirektor Andreas Schicker hatte einen Geistesblitz, überzeugte Ilzer zu einer Rückkehr in die Steiermark. Der in Favoriten Legendenstatus genießende Stöger lieferte fortan als Austria-Trainer ähnlich schlechte Ergebnisse wie sein Vorgänger ab.
Obwohl sich in Liebenau hingegen rasch Erfolge einstellten – damals galt Ilzers Bestellung keineswegs als unumstritten. Ilzer? Hatte der nicht eindrucksvoll bewiesen, kein echter Spitzentrainer zu sein? Einmal mehr offenbarte Christian Ilzer, dass akribische, professionelle Arbeit einen längeren Atem hat, als Kleingeist und Engstirnigkeit. Am Sonntag leitete er sein hundertstes Pflichtspiel als Sturm-Trainer. Seit er die Mannschaft übernommen hat, ist eine kontinuierliche Leistungssteigerung zu beobachten. Er und sein Trainerteam, in dem auch Uwe Hölzl unverändert gute Stimmung verbreiten darf, haben dem Verein wieder ein eigenes Gesicht gegeben.
Erst gestern Abend musste Ilzer Gerüchte dementieren, der kriselnde Ruhrpott-Verein Schalke 04 sei an ihm interessiert. Letzten Sommer seien die Young Boys Bern an einer Verpflichtung interessiert gewesen. Obwohl Christian Ilzer eng mit dem Verein und der Steiermark verbunden ist – dem gesamten Umfeld ist bewusst, dass ein Trainer vom Format Ilzers nicht ewig in der österreichischen Bundesliga aktiv sein wird.
Was im Umkehrschluss bedeutet, dass wir, der SK Sturm Graz und seine Fans, bestens beraten sind, die aktuellen Erfolge ganz und gar zu genießen. Der Profifußball hat sich zu einem extrem kurzlebigen Geschäft entwickelt. Umso schöner, was Ilzer und seiner Mannschaft in den letzten Monaten gelungen ist: Den Worten „Der SK Sturm ist wieder da!“ ein solides Fundament zu geben.
Statt Breidablik, Larnaka und dem FK Haugesund zu unterliegen, statt frustrierende Niederlagen gegen Hartberg, Wattens, Klagenfurt zu ertragen – dürfen die Fans Duelle erleben, in denen man sich auf Augenhöhe mit RB Salzburg oder Lazio Rom befindet.
Dankeschön!
Heute, am 21. Oktober 2022, feiert Ilzer seinen 45. Geburtstag. SturmNetz wünscht ihm und seiner Familie weiterhin viel Gesundheit! Wir hoffen, Chris, du kannst den heutigen Tag nutzen, um zumindest für ein paar Stunden abzuschalten und die für die nächsten großen Aufgaben nötige Energie zu sammeln. Herzlichen Dank für die professionelle und respektvolle Art, mit der du dich deiner Herzensaufgabe SK Sturm Graz widmest!
Danke!
Toller Artikel bzw. Porträt, bravo!
Alles Gute an den Sturmtrainer auch von mir, auch wenn er es nicht lesen wird 🙂
Dem schließe ich mich an, mit einer Bitte/“Voraussetzung“ verbunden, bevor er uns ins Ausland zu einem besseren Verein (und dann bitte nicht Rapid, gell 😉 ) verlässt: Der nächste Titel warad fällig, gell, Chris! 😉
Toller Artikel, tolles Interview!
Würde mir sehr wünschen, dass ihr Chris Ilzer im Oktober 23 wieder als Sturmtrainer vors Mikro bekommt.
Happy Birthday und alles erdenklich Gute an unseren Cheftrainer!!!
Alles Gute Trainer!!!
Zu Beginn war ich gleichermaßen skeptisch und euphorisch, ob der Verpflichtung von Chris Ilzer. Aber die Skepsis hat sich nach ein paar Spielen umgehend auch in Euphorie und Begeisterung verwandelt.
Ich hoffe, dass uns Chris Ilzer mit seinem Team und der Mannschaft noch desöfteren positiv überrascht/begeistern kann.
Alles Gute zum Geburtstag!!! Und am Schönsten könnte man feiern, wenn sich mal wieder ein Titelchen einstellen würde. 😉
Wenn die Mannschaft aber solche Leistungen, wie in den letzten Wochen abliefert, brauch ich keinen Titel.
Super geschrieben! Gratulation Micha Pesseg!
@Ungustling: Du meldest dich hier regelmäßig, nur um zu sagen, dass alles scheiße ist. Zwar in der Anonymität, Problem nur: Du selber weißt wer du bist und das muss ziemlich hart sein.
Schöner Beitrag Mischa, danke für die Mühe und den gratis!!! Service.Bitte wegen solcher deppaten Kommentare nicht beirren lassen. Sehr viele Sturmfans schätzen eure Arbeit sehr