81 Dinge über Ivica Osim

Heute wäre der Jahrhunderttrainer 81 Jahre alt geworden

Genau heute, dem 6. Mai 2022 wäre Jahrhunderttrainer Ivica Osim 81 Jahre alt geworden. Fünf Tage vor seinem Geburtstag, hat Ivica Osim diese Welt für immer verlassen. Seine Person wird jedoch auch abseits der Fußballwelt für immer in Erinnerung bleiben. Keine Person in der langen Vereinshistorie hat diesen Verein so geprägt wie der Bosnier. 1994 kam er aufgrund der Tragödie am Balkan nach Graz, nur um so nahe wie möglich bei seiner Familie zu sein. Und hinterließ dabei Spuren, die noch sehr viele Generationen überleben werden. Osim war so viel mehr als bloß Fußballtrainer: Wäre er als Kind in den engen Gassen in Grbavica, nicht dem runden Leder nachgejagt und hätte nicht Fußball für sich als seine größte Leidenschaft auserkoren, ist es gut vorstellbar, dass aus ihm ebenso ein großartiger Philosoph, Physiker, Mathematiker, Literat oder Diplomat geworden wäre. Osims Plan vom Spiel, seine Zitate, seine Art aus anfangs biederen, durchschnittlichen Fußballern eine Mannschaft zu formen, die später in der Champions League reüssieren sollte, bleiben nachhaltig in den Köpfen aller Sturm-Knofel verankert. Wir wollen daher den Bosnier mit 81 Anekdoten, Zitaten und Zahlen würdigen.

 

1) Ivica Osims Statistik als Vereinstrainer ist beeindruckend: 55% aller Spiele konnte er gewinnen, nur 23% gingen verloren. Umso bemerkenswerter, weil seine Trainerstationen Željezničar Sarajevo, Partizan Belgrad, Panathinaikos Athen, Sturm Graz und JEF United lauten und nicht etwa Bayern München, FC Barcelona oder Manchester United.

2)

 “Nur mutige Mannschaften schreiben Geschichte. Es gibt immer die Möglichkeit, etwas mehr Selbstbewusstsein zu haben als der Gegner und etwas zu probieren.” – Ivica Osim über Mut

3) Er wolle nur seine Dankbarkeit ausdrücken, dass man sich in Österreich noch immer an ihn erinnere, meinte Osim zu einer Petition für die Benennung einer Grazer Straße nach seiner Person. Wenn man weiß, wie sehr er Ehrungen oder öffentliche Auftritte „liebte“, überraschte dieses Statement doch einigermaßen. Allerdings schränkte er dem Initiator gegenüber ein, er selber sei nur unter der Bedingung für solch ein Denkmal, wenn er „seine“ Straße nicht jeden Tag selbst kehren müsse.

4) Die tiefen Narben, die der Krieg in seiner Heimat bei ihm verursacht haben, brachte er einst so zum Ausdruck: “Als Jugoslawien gestorben ist, ist auch in mir etwas gestorben.”

5) Als Osim im Jahr 2007 vor dem Fernseher bei einer Übertragung eines Premier-League-Spieles einen Schlaganfall erlitt und danach in einer japanischen Universitätsklinik zehn Tage im Koma lag, fragte er direkt nach dem Erwachen seine Gattin, die am Krankenbett ausharrte, zuallererst, wie denn das Spiel überhaupt ausgegangen sei.

6) Ivica Osim unterschrieb bei Sturm nur unter der Bedingung, dass sein Vorgänger Milan Djuricic von sich aus auf den Trainerposten in Graz verzichtet, da er nicht wollte, dass wegen ihm ein anderer Coach entlassen wird.

7) Osims erste Auslandsreise führte ihn nach Wien, als Željezničar im Europacup auf Austria Wien traf. Allerdings war dieses Match nur noch Formsache, da die Bosnier das Heimspiel bereits mit 4:1 gewonnen hatten. Im Tor der Violetten stand Gernot Fraydl, der später als Sturmtrainer 1984 in das Viertelfinale des UEFA-Cups einziehen sollte.

8) Der japanische Videospielhersteller SEGA verewigte Ivica Osim 2009 am Cover des Spieles „J-League-Pro-Soccer“. Japanische Medien nennen ihn Sensei, den Lehrer.

Ivica Osim Leben als Sturm Graz Trainer

9) Als Ivica Osim nach einem 6:0-Sieg gegen die Austria gefragt wurde, ob er zumindest nun ein klein wenig stolz auf sich sei, antwortete der Trainer: „Nein, die Spieler sollen es sein. Und die positiven Lehren daraus ziehen und sich laufend weiterentwickeln. Denn wir haben noch Reserven. Vastic, Wetl und wie sie alle heißen sind Künstler. Sie machen Woche für Woche tausende Leute glücklich.“

10) Ein Markenzeichen Osims war eine rot-orange Halteschlaufe, die die Redaktion einer Grazer Zeitung für ihn organisierte und unter dem Dach der Betreuerbank in der „Gruabn“ montierte. In den ersten Jahren im neuen Liebenauer-Stadion wurde aus diesem roten Utensil dann endlich ein schwarzes.

11)

“Jeder Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag.” – Ivica Osim

12) Als Osim dem damals 19-jährige Ferdinand Feldhofer 45 Minuten vor der Begegnung in der Königsklasse gegen Olympique Marseille in den Katakomben des Velodromes mitteilte, dass er in Kürze erstmals für Sturm einlaufen wird, meinte Osim lapidar: „Jetzt hast du Zeit, um aufs Klo zu gehen, in einer dreiviertel Stunde aber musst du spielen.“

13) Ivica Osim stand als Spieler im All-Star-Team der Europameisterschaft 1968 in Italien und das, obwohl er im Finale zwischen Jugoslawien und Italien verletzungsbedingt fehlte. In einem überhart geführten Halbfinale war er von den englischen Spielern regelrecht gejagt worden. Damals waren noch keine Wechsel erlaubt und Ivan hielt bis zum Schlusspfiff durch.

14) Sein Großvater wurde nur acht Kilometer von der steirischen Grenze entfernt geboren. Der Ort heißt Ruse und gehörte zur damaligen Untersteiermark.

15) Als Ex-Sturm-Präsident Hannes Kartnig seinem Trainer stolzgeschwellt ein neues, luxuriöses Mannschaftsgefährt präsentierte, meinte Osim trocken, dass ein Bus keine Tore schießt. Viel mehr Freude machte ihm der Präsident mit etwas ganz Anderem: Auf einer Rückfahrt aus Salzburg bemerkte der Präsident, wie Osim glückselig bei einem Lied von Al Bano & Romina Power mitsummte. Kurzerhand engagierte er das Pop-Duo für die Sturm-Weihnachtsfeier. Osim war gerührt.

16)

“Sturm ist wichtiger als jeder Spieler.” – Ivica Osim

17) Markus Schopp hat einmal über Osim gesagt: „Wenn man bei ihm überhaupt von einer Schwäche sprechen könnte, dann wäre es jene, dass er ein zu guter Mensch ist. Er hat sich schwer getan, einem Spieler zu sagen, dass er auf der Bank sitzen muss.“

18) Die verbalen Entgleisungen des ehemaligen Sturm-Vereinspräsidenten Hannes Kartnig kurz vor dem Rücktritt des Bosniers hatten ein Nachspiel: 2006 musste der damals Noch-Präsident nach letztinstanzlichem Urteil rund 350.000 Euro an Ivica Osim zahlen. Der Bosnier spendete den Betrag karikativen Zwecken.

19) Als Ivica Osim am 13. Juni 1994 nach seiner Ankunft in Graz erstmalig den Sturmkickern bei einem Training auf die Beine schaute, fragte er den damaligen Manager Heinz Schilcher schon nach wenigen Minuten ungläubig, welche Sportart diese Männer denn ausüben. Woraufhin Schilcher gestehen musste: „So spielen die hier schon seit zehn Jahren.“

20) Ivica Osim ist mit acht Jahren und zwei Monaten der am Stück längstdienende Sturm-Trainer aller Zeiten. Er durfte auf der Sturm-Betreuerbank gleich 15 verschiedene Austria-Wien-Trainer begrüßen. Die durchschnittliche Überlebensdauer eines Übungsleiters liegt bei Sturm bei exakt einem Jahr, sechs Monaten und 29 Tagen.

21)

“Erfolgreich ist eine Mannschaft, wenn sie etwas bewegt, nicht aufgrund ihrer Pokale.” – Ivica Osim

22) Kaum zu glauben ist, dass der Bosnier nach seinem Rücktritt bei Sturm heftig vom Stadtrivalen umworben wurde. Der damalige GAK-Manager Günther Koschak traf sich einige Male mit ihm. Doch Ivan teilte Koschak mit, dass er aufgrund seiner Sturmvergangenheit nicht zu den Rotjacken gehen könne, er aber trotzdem beleidigt wäre, wenn Koschak schon morgen einen anderen Trainer präsentieren würde.

23) Im Zuge der Kriegswirren im ehemaligen Jugoslawien war Ivica Osim zweieinhalb Jahre von seiner Frau Asima und seiner Tochter Irma, die weiterhin in Sarajevo lebten, getrennt. Während seiner Zeit bei Panathinaikos Athen durfte er am Hausboot des Klubpräsidenten wohnen, da dieses mit einer Satellitenanlage ausgestattet war und so ab und an Kontakt in die Heimat möglich war.

24) Als im Grazer Gemeinderatsaal Osim der Bürgerbrief verliehen wurde, bekrittelte eine Partei, dass ihm doch der Ehrenring – von der damaligen Stadtregierung abgelehnt – viel besser stehen würde und dass sich selbst der reiche Präsident diesen nicht kaufen könne. Osim ließ diese Stichelei völlig kalt, blätterte seinen Bürgerbrief durch und meinte: „Schauen Sie, hab ich ein Buch bekommen, so etwas kauft sich der Präsident auch nie.“

25) Nach einer Niederlage rief ihm ein verärgerter Sturmfan von der Tribüne aus zu, er soll sich doch “heim schleichen”. Osim entgegnete: “Bin ich schon, ich bin hier zuhause”. Für den Bosnier war ein Pass bestenfalls ein Reisedokument, nicht aber ein Identitätsnachweis.

26) Der im Februar verstorbene Literat Gerhard Roth, Osim-Freund und Sturmfan, hat einmal über den Trainer gesagt: „Er war der großartigste Interviewpartner, den man sich vorstellen konnte. Auf eine Frage hat er stets einen inneren Monolog begonnen, den große Teile der Zuhörer gar nicht verstanden haben und trotzdem waren seine Ausführungen dermaßen faszinierend, dass alle bis zum Schluss an seinen Lippen gehangen sind. Eine weitere Frage wurde danach zumeist überflüssig.“

27) „Alles, was ich ich in Ex-Jugoslawien erlebt habe, alles, was geschehen ist, in Bosnien und anderswo, bedeutete für mich das Ende des Lebens. Ich kann sagen, die Meistertitel waren schön für die Spieler oder so. Ich kann mich aber nicht mehr freuen. Ich bin zwar nicht tot, ich kann spazieren gehen, aber letztendlich bin ich jemand, der nie geglaubt hat, dass so etwas in meiner Heimat passieren kann“, war Osims Begründung dafür, dass er auch nach den großartigsten Leistungen seiner Spieler am Feld den Ruf eines ewigen Grantlers hatte.

Ivica Osim in jungen Jahren, in seinem Leben war er Trainer von Sturm Graz

28) In seinem erst zweiten Testspiel als Sturm-Trainer verlor der Bosnier mit Sturm gegen die Färöer Inseln mit 0:1. Einen Tag später unterlagen genau jene Insulaner einer österreichische Journalistenauswahl mit 1:3.

29) 

“Wir müssen froh sein, dass wir in der Champions League gegen Manchester spielen konnten, denn wir könnten uns nicht einmal ein Freundschaftsspiel gegen sie leisten.” – Ivica Osim

30) 1969 gastierte der FC Santos mit Pele in Sarajevo, um dort gegen eine Stadtauswahl anzutreten. Doch Ivica Osim war verletzt. Als Pele dies erfuhr, sagte er: „Wenn Osim nicht spielt, spiele ich auch nicht.“ Also wurde Ivan fitgespritzt. Das Spiel endete 1:1. Nach dem Match begann ein Wettrennen um das Trikot von Pele, doch dieser ging direkt zu Osim und bat ihn um sein Dress mit der Nummer 10. Dieses Trikot – mittlerweile mehrere hunderttausend Euro wert – lag bis zuletzt in Osims Wohnung in Sarajevo.

31) 1991/92 war Osim nicht nur jugoslawischer Teamchef, sondern auch Trainer von Partizan Belgrad. Er lebte damals in der jugoslawischen Hauptstadt und die Fans der früheren Armeemannschaft verehrten ihn – einen Bosnier in Serbien, zu einer Zeit, in der ehemalige Brüder sich im ehemaligen Vielvölkerstaat sinnlos bekriegten.

32) Roman Mählich hat einmal über Osim gesagt, dass der Trainer im Grunde sehr negativ war. Als Sturm einmal den Stadtrivalen GAK mit 5:0 besiegte und in der nächsten Runde auf Tabellennachzügler Austria Lustenau traf, warnte Osim seine Spieler, dass wenn sie so auftreten würden wie im Derby, sie schon sehen würden, was passiert. Nicht ganz so streng nahm er es mit den Ausgehzeiten seines Mittelfeldturbos. Er bemerkte stets, wenn Mählich nach dem Spiel im Schillerhof oder anderswo über die Stränge geschlagen hatte. Er blickte ihn am Vormittag in die Augen und meinte nur: „Gehen Sie zehn Minuten laufen, Gemma! Und dann gemma nachhause! Kommen Sie morgen wieder zum Training, Wiederschauen!“ 

33) Seine erste (und auch letzte) Frankreich-Station führte Ivica Osim nach Straßburg. Der Bosnier hatte mehrere Angebote, entschied sich aber für die Elsässer, weil ihm gesagt wurde, dass dort mit Horst Franz ein Hochschulprofessor auf der Trainerbank sitzt.

34)

“Das Einzige, was ich meinen Spielern in Graz in der Nachbetrachtung vorwerfen kann, ist, dass sie gar nicht gewusst haben, wie gut sie eigentlich waren. Sonst wäre sogar noch mehr möglich gewesen.” – Ivica Osim über seine Ära bei Sturm

35) In einer groß angekündigten Aktion wollte Ex-Sturm-Präsident Hannes Kartnig Osim mit der österreichischen Staatsbürgerschaft überraschen. Eine ganze Journalistenschar wurde dafür in das kroatische Restaurant Kornati in die Grazer Franckstraße geladen, doch als der Trainer knapp vor der einberufenen Pressekonferenz davon Wind bekam, entgegnete der stolze Bosnier, dass ihm an diesem Geschenk nicht besonders viel liege. Also wurde dem Trainer – im Beisein der verdutzten Journalisten – kurzerhand ein schnell herbeigeschafftes, materielles Geschenk für seine Leistungen überreicht.

36) Während seiner Zeit als Fußball-Trainer in Österreich war Ivica Osim auch zeitweise stellvertretender Bürgermeister von Sarajevo. Später wurde er auch zum “Bürger der Stadt Graz” ernannt und ihm das Große Ehrenzeichen des Landes Steiermark verliehen.

37) Yukihiko Kimura, Journalist aus Tokio, schrieb 2006 das Buch „Die Worte Osims“. Voll gepickt mit Zitaten des Trainers. Das Buch wurde 500.000 mal verkauft und vom japanischen Unterrichts-Ministerium als wünschenswerte Lektüre für Gymnasiasten empfohlen.

38) Das sogenannte “Magische Trio” hat die Osim-Ära beinahe ähnlich geprägt wie der Trainer selbst: Insgesamt schoss es 315 Pflichtspieltore: Ivica Vastic deren 160, Mario Haas 97 und Hannes Reinmayr 58.

39)

“Kampf der Kulturen? Normalerweise kämpfen Kulturen nicht. Deshalb sind sie ja Kulturen. Weil sie keine Kriege führen.” – Ivica Osim

40) In den jugoslawischen Medien wurde Ivica Osim der „Strauß von Grbavica“ genannt, weil er mit dem Ball so fiedelte, wie der Walzerkönig seine Noten zu einer Komposition vereinte. Ein Radioreporter schilderte einst eine Spielszene so: „Jetzt ist Osim – den wir alle nur Strauß nennen – am Ball, ich denke wir können jetzt ein wenig Musik spielen, denn das kann dauern.“ Und tatsächlich: Als der Kommentator zwei Minuten später wieder auf Sendung ging, war Osim der Legende nach immer noch am Dribbeln.

41) Seine Jugendjahre beschrieb er einst so: „Österreichische Altersgenossen erzählen mir manchmal: Bei uns gab es nach der Schule nur eines: Tasche ins Eck, Essen, Fußball! Ich entgegne dann: Bei uns war es ähnlich, nur dass es nicht immer was zu essen gab.“

42) Ivan Osim hat während seiner zwölfjährigen Karriere bei Zeljeznicar Sarajewo nur eine einzige Gelbe Karte bekommen. Für etwaige Verwarnungen in seiner Zeit als Legionär in Frankreich gibt es keinerlei Nachweise.

43) Sturm-Legende Mario Haas hat einmal erzählt, dass Osim schon beim ersten Training warnte, er wisse von jedem genau, was er könne und was nicht. Im Laufe der ersten Bundesliga-Saison wurde ihnen dann klar, dass Osim auch alle Spieler der anderen heimischen Bundesligisten in- und auswendig kannte, ohne jemals zuvor in Österreich gearbeitet zu haben.

44)

“Mein Rücktritt ist das Einzige, was ich für meine Stadt tun kann. Sie sollen sich erinnern, dass ich aus Sarajevo komme. Sie wissen was dort passiert.” – Ivica Osim am 23. Mai 1992 beim Rücktritt als jugoslawischer Teamchef, mit Tränen in den Augen

45) Langzeit-Sturmkicker Günther Neukirchner behauptet noch heute, dass er alles, was er im Fußball erreicht hat, Ivica Osim verdankt. Zudem war er sich im Sommer 1994 schon mit Oberwart einig, doch Präsident Kartnig bat ihn, noch eine Woche zu bleiben, um den neuen Trainer kennenzulernen. Güsch überzeugte Osim und blieb dann doch. Nach seiner Karriere meinte er: „Trotz der vielen Jahre, die Osim bei Sturm Trainer war, konnte man noch jeden Tag etwas Neues von ihm lernen. Er lebe für den Fußball und wusste alles über dieses Spiel.

46) Das Portal Sturm12 wählte Osim zur einflussreichsten Persönlichkeit der ersten 100 Jahre in der Vereinsgeschichte.

47) „Svabo“, den Schwaben, nannten die Menschen in Bosnien den jungen Ivica Osim aufgrund seiner Größe, seiner blonden Haare und seiner deutschsprachigen Ahnen.

48) Das Nationalteam von Jugoslawien führte er bis ins Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1990 in Italien, wo man erst im Elfmeterschießen unglücklich an den Argentiniern rund um Diego Maradona scheiterte. Sein Team war trotz früher Unterzahl tonangebend. Osim meinte über diese WM: „Viele sind so weit gegangen, zu glauben, diese Mannschaft könnte Jugoslawien retten. Schön wär es gewesen. Aber wie hätten wir das schaffen können? Da hätten wir schon Weltmeister werden müssen. Die Spieler aber waren viel besser als ihr Land. Wären sie an der Macht gewesen und nicht diese Politiker, wäre nichts Vergleichbares passiert.“

49)

“Sturm deckt alles was schwarz ist in meinem Leben, alles was weiß ist auch.” – Ivica Osim

50) Den einstigen Mittelständer JEF United führte er in Japan zum zweimaligen Ligapokalsieg. Um daraufhin das japanische Nationalteam zu übernehmen. Gleich bei seiner Präsentation gab Osim zu Protokoll: „Wenn man das japanische Team mit einem Auto vergleicht, kann man sagen: Der Motor ist abgestorben. Nun müssen wir alle anschieben, damit er wieder anspringt.“

51) Im Herbst 1994, nach einer 0:5-Niederlage am Innsbrucker Tivoli, hat Osim ernsthaft darüber nachgedacht, den späteren Jahrhundertspieler von Sturm Graz, Ivica Vastic, aus dem Kader zu eliminieren. Bei vier von fünf Gegentoren hat die spätere Sturm-Ikone im Mittelfeld den Ball verloren. Obwohl man schon in der ersten Osim-Saison Vizemeister wurde, brauchte der Trainer ein halbes Jahr, um auch Vastic in die richtige Bahn zu lenken.

52) Zu Ehren Osims schmückten die Fanklubs von Sturm an dessen 80. Geburtstag mehrere Orte in Graz mit dessen Konterfei, da es ihnen ein Anliegen war, dass dieser im gesamten Stadtbild präsent ist.

Ivica Osim am Grazer Uhrturm, er war Trainer von Sturm Graz

Ivica Osim am Grazer Uhrturm-Schatten

53) Nachdem es im ersten Bundesliga-Spiel mit Osim für Sturm gegen Vorwärts Steyr nur zu einem 1:1-Unentschieden reichte, titelte die damals noch als gedruckte Zeitung erscheinende steirische Neue Zeit: „Warum musste Djuricic gehen?“. Der Osim-Vorgänger war ab dieser Saison Trainer der Oberösterreicher. Im Nachhinein betrachtet eine obsolete Frage.

54) Seine schönsten Erinnerungen als aktiver Fußballer gelten den Olympischen Spielen 1964 in Tokio. In fünf Spielen erzielte Osim vier Treffer, zu einer Medaille hat es nicht gereicht. Als Trainer holte er diese 1984 in Los Angeles nach, als er mit den Jugoslawen den dritten Platz belegte.

55)

“Ich weiß nicht, wann ich meine Karriere beende. Es wäre doch schön, auf der Trainerbank zu sterben.” – Ivica Osim

56) Vereine, die Osim während seiner Zeit bei Sturm vergeblich engagieren wollten: Real Madrid, Oviedo, 1. FC Köln, Borussia Dortmund, VfB Stuttgart, Sporting Lissabon, Olympique Marseille, Austria Wien und viele mehr.

57) Ein gewisser Arsene Wenger war 1978 beim FC Straßburg der Wasserträger von Ivica Osim. „Ein technisch guter Wasserträger“, wie Osim später erzählte, „einer mit Schritten wie eine Giraffe.“ Später wurde Wenger legendärer und langjähriger Trainer von Arsenal London.

58) Nachdem Osim vor einem Pflichtspiel seine Start-Elf gefunden hatte, stieß er mit seinen Co-Trainern traditionell mit einem Glas Whiskey an. Als im Sommer 2018 Manager Heinz Schilcher in kleinem Rahmen zu Grabe getragen wurde, stand auf dem Sarg ein halbvolles Glas Macmyra Grön Te, jener Whiskey, den Osim und Schilcher vor jedem Champions-League-Spiel von Sturm an der jeweiligen Hotelbar nahmen.

59) Mit Gattin Asima war Ivica über 55 Jahre lang verheiratet. Über das Kennenlernen verriet sie einst: „Ich hatte Probleme in Mathematik – da empfahl mir eine Schulfreundin ihren Nachbarn als Nachhilfelehrer. Ich war fasziniert, wie gut Ivan erklären konnte, ich habe dank ihn Mathematik lieben gelernt. 3 1/2 Jahre später haben wir geheiratet.“

60) Bereits im Jahr 1992 hatte Osim ein Angebot von Rapid Wien. Doch in der Chefetage der Hütteldorfer war man sich uneinig und entschied sich letztendlich für Gustl Starek. Der damalige Vizepräsident von Rapid, Rechtsanwalt Dr. Skender Fani, trat aufgrund dessen sofort zurück.

61)

“Fußball ist immer noch ein Spiel, auch wenn das viele vergessen. Denn arbeiten kann man auch in einer Mine.” – Ivica Osim

62) Was vielerorts unbekannt ist: Seine erste Auslandsstation als Profi verbrachte Osim in den Niederlanden. Am 19. Jänner 1969 debütierte er für die Zwolsche Boys in der Tweede Divisie bei einem 1:1 gegen SC Gooiland. Der Verein, wie Sturm auch an einem 1. Mai gegründet, findet sich schon seit Jahrzehnten in den Niederungen des holländischen Amateurfußballs wieder.

63) Am liebsten vertrieb sich Osim – wenn nicht gerade zwei Fußballspiele parallel im Wohnzimmer seines Hauses in St. Peter über die TV-Bildschirme flimmerten – seine Zeit mit Kartenspielen. Romeè, in Österreich auch Jolly genannt, war in dieser Kategorie sein Favorit.

64) Die beiden schlechtesten Platzierungen in der Osim-Ära bei Sturm waren jeweils ein vierter und ein dritter Platz. Zweimal wurde er mit Sturm Meister, dreimal Vizemeister. Im Cup reichte es mit Sturm vier Mal für das Finale (2 Titel), 1x war im Viertelfinale (Rapid, 2001), 2x in der 2. Runde Endstation (Eintracht Wels 1994, Pasching 2000). Somit stehen 29 Siegen 5 Niederlagen im ÖFB-Cup gegenüber.

65) Ein sensationeller Europacuperfolg gelang Ivica Osim im ehemaligen Jugoslawien. Im Halbfinale traf Zeljeznicar auf den FC Videoton Székesfehérvár und verlor im Hinspiel mit 3:1. In Sarajevo stand es bis knapp vor dem Ende 2:0 für die Osim-Elf. Doch in Minute 87 gelang den Ungarn der Anschlusstreffer. Damit wurde es für Ivan nichts aus dem schon sicher geglaubten Europacupfinale gegen Real Madrid.

66)

“Fußball ist etwas ganz anderes und nicht nationalistisch. Ich glaube noch immer, dass die, die mit dem Fußball verbunden sind, egal welche Hautfarbe oder Religion sie haben, anders sind. Ich glaube, dass Fußball für sich selbst eine kleine Religion ist.” – Ivica Osim

67) Im Jahr 2000 wurde der Bosnier mit dem Josef-Krainer-Preis geehrt. Als Osim erst bei der Gala bemerkte, dass diese Auszeichnung mit 65.000 Schilling dotiert war, spendete er das Geld spontan für die Kinderkrebsklinik. Andere Preisträger – wie etwa Schauspieler Klaus Maria Brandauer – zogen daraufhin umgehend nach.

68) Osim bezeichnet sich selbst als Atheist: “Keiner Religion anzugehören ist eindeutig der schwierigere Weg, das Leben zu bewältigen. Mein Vater war zwar Moslem, aber mehr Partisan und meine Mutter Hausfrau, aber mehr Sozialistin. Somit wurde ich praktisch schon als solcher geboren.”

69) Auch die französische Presse war von Osims Künsten als aktiver Fußballer bei CS Sedan, US Valenciennes und Racing Straßburg begeistert und verpasste ihm den Spitznamen „Monsieur Millimeter“, da er – so L´Equipe – drei Gegner auf einer Fläche eines Taschentuches überspielen habe können.

(c) Martin Hirtenfellner – Fotografie

70) Als ein ORF-Reporter nach einer Niederlage in der Champions League behauptete, insgesamt habe sich die Mannschaft doch gut verkauft, meinte Osim nur: „Schauen Sie, wenn man sich verkauft, ist das immer schlecht.“

71) 2003 war Graz Kulturhauptstadt und an der Nordeinfahrt war eine Kunstinstallation zu bewundern, in der sich das Porträt des mittlerweile verstorbenen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt in jenes von Ivica Osim verwandelte.

72)

“Ich habe Sarajevos Einzigartigkeit erst verstanden, als ich weg war. Vor dem Krieg war es praktisch die einzige Stadt mit einem multikulturellen Leben. Zwei Glocken klingen besser als eine. Und alle drei zusammen, sind wie ein Orchester. Das ist es, was ich hören will.” – Ivica Osim

73) Seine imposante Statur hat der Bosnier wohl von seinem Vater geerbt. Dieser war Gewichtheber und Bodybuilder und galt als angeblich stärkster Mann von Sarajevo. Klar war er erfreut, als Arnold Schwarzenegger vor dem Meisterschaftsfinale 1999 den Blackys in der Gruabn einen Besuch abstattete und dort verkündete: „Ihr alle seid Terminators“.

74) Die UEFA drohte dem bosnischen Fußballverband 2011 mit der Suspendierung: Dubiose Geldflüsse, Günstlingswesen und intransparente Besetzungspolitik missfielen dem europäischen Fußballverband. Osim wurde zum Vorsitzenden eines Normalisierungskomitees eingesetzt und führte den Verband wieder auf den richtigen Weg. Drei Jahre später qualifizierte sich Bosnien erstmalig für eine Fußballweltmeisterschaft.

75) Schon in seinem ersten Jahr in Graz verpasste er mit Sturm den Meistertitel nur aufgrund einer schlechteren Tordifferenz gegenüber dem damaligen Europacupfighter Austria Salzburg. Die Blackys blieben dabei das ganze Frühjahr über ohne eine einzige Niederlage.

76)

“Ich trinke vor jedem Spiel ein Glas Wasser und nehme Aspirin. Und manchmal denke ich, dass ich am liebsten gar nicht hinausgehen würde.” – Ivica Osim

 

77) In den ersten fünf Jahren bei Sturm Graz gab es zwischen Vereinspräsident Kartnig und Osim kein Arbeitspapier. Der Handschlag des Präsidenten reichte dem Bosnier.

78) 2001 wurde Osims Sohn Amar – wie sein Vater 23 Jahre zuvor – Trainer von Željezničar Sarajevo. Im Sommer 2006 übernahm er das Traineramt beim japanischen Klub JEF United von seinem Vater, der Trainer in Japans Nationalteam wurde. Amar kehrte noch zweimal zu Željezničar zurück. 

79) Nach Osims Ankunft in Graz gewährte er den Sturmspielern keinen einzigen, freien Tag. “Essen muss man ja auch jeden Tag”, war seine Begründung gegenüber den verdutzten Spielern.

80) Als Ivica Osim anlässlich seines 75. Geburtstages Liebenau beehrte und nach dem Spiel, einem desaströsen 1:1 gegen Mattersburg, von einem Fan angesprochen wurde, der Ex-Trainer möge doch bitte baldigst erneut Sturm die Ehre erweisen und er werde dann auch bestimmt ein besseres Spiel sehen, konterte der Bosnier mit schelmischem Grinsen: „Schlechter kann es ohnehin nicht werden“.

81) Am 9. Mai 2021, drei Tage nach seinem 80. Geburtstag, verfolgte Ivica Osim die 1:3-Heimniederlage gegen Salzburg von der Tribüne. Gegenüber wurde der Jahrhunderttrainer mit einer riesigen Blockfahne, die aufgrund der damaligen Geisterspiele über die leeren Sektoren gespannt war, geehrt. Es war dies sein letzter Geburtstag, den er miterleben durfte. Am 6. Mai 2022 wäre Ivica Osim 81 Jahre alt geworden. Fünf Tage zuvor verstarb er justament an dem Tag, als sein SK Sturm den 113er beging. Von kaum einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ging eine derartige Strahlkraft aus wie vom gebürtigen Bosnier. Genauso wenig wie Ayrton Senna „nur“ ein Formel-1 Fahrer war, war Ivica Osim „nur“ ein Fußballspieler bzw. Trainer. Und genauso wie der Brasilianer verstarb er an einem Sonntag am 1. Mai. Osim liebte Sarajevo, doch er verliebte sich auch vom ersten Tag an in Graz. In eine Stadt, die noch immer keine Straße nach ihm benannt hat. Sollte sie aber.

(c) Martin Hirtenfellner Fotografie

 

 

3 Kommentare

  1. Schworza99 sagt:

    Diese Art eines gebrochenen Deutsches klangen für mich als Kind bis jetzt als Erwachsener immer irgendwie besonders. Als ob irgendwo immer eine Weisheit oder ein philosophischer Hintergrund versteckt wäre. Selbst ein von Schützenhöfer im Scherz erzähltes „Hauptmann, bestelle Wein“ bringt mich nicht nur zum Lachen sondern auch irgendwie zum Nachdenken.

    Nicht zu vergessen ist auch seine tragische Geschichte. Der Mann hat nicht nur den Tod seiner Nation und Heimat erlebt, sondern auch wie sich seine Landsleute gegenseitig abschlachten. Alleine Frau und Tochter in einer belagerten Stadt zu haben und nicht zu Ihnen zu können muss eines der schrecklichsten Gefühle sein die es gibt. Dennoch war er stets zurückhaltend und stets in sich gekehrt.

    Hoffe er findet wo immer er jetzt auch ist ein wenig Ruhe, die Zeit nach dem Schlaganfall war gesundheitlich wohl ein Kraftakt. Nächstes Jahr sind wir in der eh in einer Gruppenphase und das hätte ihn bestimmt gefreut zu sehen wie wir das zweite Ec Jahr meistern werden.

    Niemand ist größer als der Verein. Aber ein gewisser jemand ist schon extrem nahe rangekommen.

  2. Marchanno Diaz Rabihou sagt:

    Ivica & Ayrton

  3. bianco nero tifoso sagt:

    Danke Gü, es ist einfach nur unglaublich, nicht in Worte zu fassen.

    Ivica Osim kam 1994 zu uns, einfach nur Glück, Schicksal.

    Wir spielten noch in der Gruabn, Provinz, der einfache Arbeiter und Bauern Verein.

    Auf einmal kommt ein Weltklasse Trainer nach Graz.

    Was spielen die hier für eine Sportart, Fussball?

    Herr Osim, wir spielen schon immer so Fussball hier in Graz.

    Passt scho Hannes, alles verjährt.

    Sturm Graz 1992, wir hatten nix, nur Schulden bei der Bank, wir waren sowas von blank.

    Pass auf, wos wü da Korl Temmel bei Sturm, der Eislutscher für Worme?

    Es ist ein Wunder und war die beste Zeit von Sturm Graz, dass Intellekt vs. Proletariat so gut funktioniert hat hier in Graz.

    Hannes Kartnig, ein einfacher Mensch, mit einer Geschäftsidee, Plakatwände, auf einmal reich geworden.

    Passt scho Hannes, so eine Proleten Goschen mit an Steiraschmäh wir es im Ö Fussball nie wieder geben.

    Danke, Ivica Osim, du hast alles verändert, alles in Graz, wir sind alles Menschen, wichtig ist nicht Geld, sondern die Liebe zu Menschen und Fussball.

    Ich habe Tränen in meinen Augen, man kann den Menschen, Ivica Osim nicht in Worte fassen.

Schreibe einen Kommentar